Sowohl Jungen, als auch Mädchen, unterliegen spezifischen
Rollenerwartungen, die zunächst eine Obdachlosigkeit verhindern sollen, durch
Nichteinhaltung diese aber erst initiieren: Bei Mädchen ist es die verweigerte
Autonomie und deren Sexualität, die beide einer Schutzfunktion von der Art
eines „goldenen Käfigs“ erfüllen und für junge Mädchen immer weniger attraktiv
werden. Bzw nur dankbar aufgenommen wird, wen sie vor persönlichen Konsequenzen
entlastet.
Bei Jungen ist es die nach wie vor unhinterfragte
Bestimmung, arbeiten und eine Familie ernähren zu können, d.h. Leistung zu
erbringen. Dem Gegenüber steht die hohe Zahl der Ausbildungs- und
Schulabbrecher und die unterschiedlichen Rollenerwartungen, denen sich die
Jungen gegenüberstehen (Arbeit PLUS…). Dies macht es für die Jungen
dringlicher, eine Peergruppe zu finden, in der andere Werte zählen, die sie besser
erfüllen können (Nahrung und Alkohol beschaffen, Geld stehlen, Kumpels
unterstützen…)
Viele Straßenjugendliche sind als solche nicht erkennbar, da
sie das Problem meist selbst verschleiern. Die meisten Jugendlichen haben Angst
vor Repressalien und Polizeikontrollen, kleiden und benehmen sich daher
unauffällig, haben manchmal eine Scheinadresse (oft sogar bei den Eltern). Sie
sind sozusagen verdeckt obdachlos, wollen dies auch so und sehen die
Obdachlosigkeit auch nur als momentanen Zustand.
Hilfeangebote für Obdachlose, egal ob für Jugendliche oder
Erwachsene, haben immer Akzeptanzschwierigkeiten, weil es um die Frage nach
„schuldig“ oder „unschuldig an der Not“ geht. Insbesondere ist dies bei Männern
der Fall, von denen ein wesentlich höheres Maß an Kompetenz verlangt wird, als
z.B. von Frauen, denen es meist gelingt, einen Opferstatus für sich zu nutzen.
Ebenso wird natürlich auch Mädchen eher geholfen als Jungen – wie oben zitiert
um den Preis einer „Unterordnung“, Austritt aus der Szene und Einordnung in ein
Hilfesystem, spätestens bei der Schwangerschaft des Mädchens. In der Regel
inszenieren die Jungen und Männer auch eine eigene Schuld, da dies mit ihrem
Rollenbild auch besser vereinbar ist als die Erkenntnis, etwas nicht geschafft,
irgendwo versagt zu haben. Ein Fakt, der leider zu wenig berücksichtigt wird,
da mit Erwachsenen nach wie vor zu selten geschlechtsspezifisch gearbeitet
wird. Bei Jugendlichen wird immerhin das deutlich sozial auffälligere Verhalten
zumindest beim Strafmaß bei Gerichtsverhandlungen berücksichtigt, wenn auch in
den letzten Jahren eine deutliche Strafverschärfung zu beobachten ist, die dann
den Jungen auf einen Weg in Straf- oder Dauerobdachlosigkeit ebnen.
Für
straffälliges, delinquentes Verhalten des Jugendlichen gibt es aber zum Glück
genügend spezifische Maßnahmen, da das Verhalten rollenkonform ist. Jungen, die
anders auf ihre Obdachlosigkeit – oder auf ihre Probleme insgesamt – reagieren
fallen dann leider aus dem Hilfesystem oder finden keine geeignete Stelle oder
werden von dem evtl. Frauenüberschuss in diesem Marktbereich nicht angezogen.
Jungen machen damit die für sie wichtige und einprägsame Erfahrung, dass für
ihre Reaktion auf eine aktuelle Notlage keine Hilfe, sondern eine Strafform
angemessen ist. Für Jungen und für Männer gibt es daher wenig Plätze für
Ängste, Schwäche und Hilflosigkeit. Männer sollen die Verursacher oder die
Lösung des Problems sein, nicht deren Opfer. Dieses Verhalten wird von den
Obdachlosen nicht anerkannt und auch viel zu wenig – da kaum reflektiert,
Gender ist was für Frauen! – von der Fachwelt und den Helfern.
Haftstrafen sind daher für männliche Obdachlose (auch
ältere) oft die Regel, bei Frauen die Ausnahme – teilweise auch trotz
vorhandener Straffälligkeit.
Männer: Obdachlosigkeit, eigene Schuld, weniger Hilfe,
Straftaten
Frauen: Obdachlosigkeit, Unterstellung der Schuldlosigkeit
(auch aus dem Grund, dass Frauen weniger ernst genommen und mehr den
Schutzinstinkt auslösen), Hilfeangebote, weniger Straftaten – viel weniger
Anzeigen – noch weniger Haftantritte
Beide Geschlechter unterliegen damit einer self fulfilling
prophecy, die der Männer schadet, die der Frauen nützt, den Rest erledigen
Vorurteile.
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